Vortragende:
Gerhard Lauer (Digital Humanities Lab der Universität Basel – Professur Digital Humanities)
Hansjörg Küster (Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover – Professur für Pflanzenökologie)
Online Vortrag & Diskussion
03. 06 2020, 18:00–19:30
Protokollant*innen:
Tim L Hübel
Zeno Schnelle
Gerhard Lauer
Literaturhistoriker - zuständig für die Verknüpfung von Geisteswissenschaften und Digitalen Werkzeugen
Hansjörg Küster
Biologe - Landschaft – früher lange Kooperation mit Archäologie
Gerhard Lauer
→ Philosophische Grundlagen und Bedeutung der Parkanlage
→ Philosophie des guten Menschen
→ Dichtung im 18. Jhdt. versuchte sich einen anderen Raum vorzustellen/ Gegenentwurf/ Korrektur/ Utopie, wollen aber auch in diesem Raum leben
→ Vorstellung des besseren Lebens: Schäfer, Liebe, Frieden in der Natur, außerhalb der Stadt
→ Sensualismus, Empfindsamkeit
→ Rousseau
→ Leibnitz + Wolff, die überragenden Philosophen der Zeit, Natur soll positiv gesehen werden. Natur und Mensch wird positiv bewertet
→ Menschen erkennen sich selbst in der Betrachtung der Natur
→ Aufgabe des Gartens: Aufheiterung der Seele, Bereicherung der Phantasie, Verfeinerung der Gefühle, Bildung Geschmack und Kunst
→ Begriff der Ästhetik ist deutsches Phänomen, entsteht mit Alexander Gottlieb Baumgarter. Der Mensch soll zu sich selbst finden Garten als Heterotopie
→ Der Mensch braucht im damaligen Verständnis Landbesitz, Landwirtschaft, Waffen [muss männlich sein] um freier Bürger in kleinen Republiken zu sein;
Hansjörg Küster
→ Was gab es vor dem Park an der Ilm?
→ Welche Positionen nehmen Siedlungen in Bezug zur Landschaft ein?
→ Dorf: an der Acker-Grünland-Grenze
⊕ sanfte Hügel
→ Stadt: am Fluss
⊕Trinkwasser, Abwasser, Stadtbefestigung, Mühle/Wasserkraft, Holzbedarf (Flösse)
→ In Weimar erkennbar an der älteren Siedlung Jakobsvorstadt (an Acker-Grünland-Grenze, sanfter Übergang zur Ilm)
→ Stadtgründung Weimar 13. Jhdt. (näher am Fluss, Steilhang, Fluss Nord-Süd, Kirchen West-Ost, wie auch in Köln, Magdeburg, Dessau, Stadt mit Brühl (städtische Weidefläche im Überschwemmungsgebiet) und Gerbereien (starke Geruchsentwicklung), auch heute noch am Straßennamen ablesbar
Lauer bietet philosophische Entstehung des Parks, Küster landschaftliche Vorgeschichte. Beide Vorträge stellen den Naturbezug (philosophisch und physisch) in den Vordergrund.
Gerhard Lauer
→ Klee in Oßmannstedt als effektive Bepflanzung, um mehr Menschen zu versorgen, als Dünger, verbessert die Erträge der Flächen
→ Römisches Haus, Bezug auf politisches System der antiken, römischen Stadtrepubliken
Hansjörg Küster
→ Stadt/ und Dorfstruktur: Wehre im Stadtraum, zum Fischen, da sich Fische am sauerstoffreichen Ort im Wasser sammeln und für Mühlen
⊕ Burgmühle
⊕ Carlsmühle (unterhalb von heutiger Friedensbrücke)
MW Einstiegsfrage. Herr Küster, Sie haben die Stadt- und Dorfentwicklung beschrieben, die aus funktionaler und praktischer Erwägung stattfindet. Herr Lauer, Sie beschäftigen sich mit Literatur und Künsten. Meine Frage: Vollzieht sich dieser Übergang, dass eine Stadt aus ästhetischen Maßstäben gestaltet wird in Weimar, anders als in anderen Städten? Was macht die Besonderheit Weimars aus?
GL Gartenreich Wörlitz als gutes Beispiel. Die Handlungsfähigen waren die Fürsten. Wenn sie sehr viel Geld hatten, haben sie in Militär investiert, bei weniger Geld in Gärten und ästhetische Dinge. Wo also wollte man Geltung gewinnen? Garten als Wettbewerb unter den Fürsten, „wer hat den größten Garten?“ Besonderheit in Weimar, mit persönlichen Einflüssen von Goethe und Intellektuellen, die sich um ihn sammeln. Mit persönlichen Anspielungen als Ausdrücke der Gefühlslage. Ohne Goethe wäre es anders.
HK Im Ganzen steckte ein Problem. Man konnte Menschen nicht ernähren. Das Schöne wurde mit dem Nützlichen verbunden. Ornamented Farm: Landwirtschaftliches Gut soll gut gestaltet werden. Im englischen Vorbild finden die deutschen Fürsten das Schöne und Nützliche verbunden und sehen es als Chance eines Ausweges aus der Krise. Nachhaltigkeitsbegriff kommt auf: Landschaft soll gleich gestaltet sein, gleich aussehen und gleichen Ertrag bringen. Einführung der Kleesaat. Man schafft den Park als dauerhafte Einrichtung. Schritt als Bewältigung der Krise des späten Mittelalters, der frühen Neuzeit. Eine neue Welt in einer alten schaffen, in der es zu stark allein um Nützlichkeit ging.
PH Mein Eindruck im Wörlitzer Garten war, dass dieser doch wesentlich angelegter und etwas künstlicher anmutet und der Ilmpark dagegen deutlich wilder bzw. naturbelassener. Passt das zum Wandel der Vorstellungen von Gartenbaukunst zu dieser Zeit?
ZS Ist der Ilmpark darin in gewisser Art einzigartig, da, wie sie sagen, der Fürst die Hoheit der Gartengestaltung an seine Bürger*innen 'überträgt'?
GL Es ist das Ideal der Klassizismus, dem Goethe und Schiller angehören, das Nützliche muss auch das Schöne sein. Später beim Bauhaus war es auch so. Der englische Landschaftsgarten geht noch stärker davon aus, dass die Natur gut ist. Nicht der Mensch muss die Natur nützlich machen, sondern die Natur hat, wenn ich nur richtig hingucke, den Menschen zu sich selbst zu bringen, zu einer guten politischen Ordnung, zu einem guten Umgang mit Tieren. Rousseau positioniert sich gegen Tierquälerei und Hinrichtungen. Nicht Natur des Menschen. Auch schottische Moralphilosophie greift das auf und ist gegen Sklaverei. Mensch kann mit der Natur auf eigenem Boden leben, es ist möglich. Wir sind noch heute Erben des epochalen Umbruchs im 18. Jhdt.
HK Es ist wichtig, dass man 1. die Natur sieht, 2. die Gestaltung durch Menschen, 3. eine Idee. Der Ilmpark soll deutlich natürlicher wirken als der in Wörlitz. Es ist schwierig, diesen Eindruck in die Zukunft zu retten. Es ist nicht die Natur des Naturwissenschaftlers, sondern die Natur, die der Mensch geformt hat. Sulzer dazu: die Landschaft entsteht im Kopf. Es liegt an uns, die Idee in die Zukunft zu tragen und ein Gegenkonzept zu erarbeiten.
GL Es setzt voraus, einen positiven Natureindruck zu haben. Die Menschen im 18. Jhdt haben noch Hungererfahrungen. In Katastrophen muss man etwas Positives sehen. Bspw. Erdbeben in Lissabon. Rousseau dazu: ihr lebt in der Stadt zu eng zusammen. Es ist ein Zeichen der Natur, dass ihr nicht mehr richtig lebt. Das ist das falsche Leben, das ist schlecht, deswegen brennt euer Haus ab. Dieser positive Naturbegriff ist eine neuere Entwicklung und war so in der frühen Neuzeit nicht vorhanden. Wenn man positiven Naturbegriff hat, geht man anders mit Natur um. Ursprünglich lebte der Mensch nicht harmonisch mit Natur, dieses Bild kommt aus dem 18. Jahrhundert und der Ästhetik.
MW Anna Amalia als wichtige Figur, die über die Stadtgrenzen hinausgetreten ist. Holte Wieland und Goethe nach Weimar.
GL Anna Amalia wählte ungewöhnlichen Weg, Intellektuelle Führungsfiguren nach Weimar zu holen (Wieland, Goethe, Oeser). Damit beginnt der Weg des Gartens zu Ästhetisierung. Dies mit ganz anderen, bescheideneren Mitteln als bspw. Wörlitz. Sehr gute Umsetzung dafür und konnten Grundlage schaffen, dass dieser Park in die Literatur und den Kunstbetrieb einzieht. Auch in kleineren Gärten war dies möglich. So zum Beispiel im Gleimhaus in Halberstadt. Ärmere Menschen lasen dort im Garten Briefe, schrieben welche und weinten auf das Papier (es war wichtig, dass man dies sah). Echte Gefühle. Hat unsere Welt neugestaltet. Wir sind Erben dieser klassischen Welt. Vorfall 2002/2003: chinesischer Ministerpräsident in Weimar, verlässt Goethehaus aus Protest, weil der Leiter in seiner Rede die Humanität zu stark betonte.
MW Es gibt ähnlichen Fall: Einweihung des Goethe-Hafis Denkmal am Beethovenplatz. Iranische Delegation sollte im Anschluss auch KZ Buchenwald besuchen. Löst Eklat aus. Sie betonten zwei Arten der Repräsentation: Militär und Gärten. Bei Hirschfeld: friedfertige Völker legen Gärten an. Kriegerischer und heroischer Geist ist dazu nicht im Stande
GL Man ist Kämpfer und Dichter (Rousseau, Kleist) als Ideal. Beispiel: Hermann und Dorothea. Der Bürger, der seine kleine Welt verteidigen kann. Dorothea übergibt Hermann am Ende die Rüstung. Es ist erstaunlich friedlich. Friedfertigkeit: Man findet passend eine Synagoge im Wörlitzer Park. An einer Stelle im Park kann man alle Konfessionen vereint sehen: evangelisches, katholisches und jüdisches Gebetshaus, Einheit der Religionen, ein Menschheitsgeschlecht. Probleme lagen darin, den Menschen durch den Wörlitzer Park zu ernähren.
HK Es ist schwierig. Getreidefelder mitten im Wörlitzer Park richtig zu verstehen. Menschen heute wundern sich, dass man mit Pferden diese Felder bearbeitet, und beschwerten sich, da dies nichts in einem Park zu suchen habe. Es hat sehr wohl in einem Park etwas zu suchen. Es verbindet das Schöne und das Nützliche. Spannend ist, dass die Dessauer zunächst sehr militärversessen waren. Und über Kriege Geld für späteren Park einnahmen (Söldnerarmee für Preußen). Späterer Fürst Franz setzte militärische Tradition nicht fort, was zu Dissonanz führte.
MW Passt ja in die politischen Verhältnisse, in denen Weimar gegen Bestrebungen Preußens war und dem Herzog einen großen Stein in den Ilmpark setzte, den Dessauerstein.
ZS Wie steil werten sie folgende These: die Landschaftsgärten des Klassizismus und das Bestreben des Humanismus bilden Auftakt im Untergang des Adels
GL Die Adelsgesellschaften gehen davon aus, dass Menschen grundsätzlich verschieden sind in ihrer Wertigkeit. Sklaven sind keine Menschen. Humboldt und andere sind aktiv gegen diese adeligen Positionen. Historiker*innen trennen zwischen Ästhetisierung und Verbürgerlichung, sehen darin zwei Vorgänge. Humboldtforum ist Widerspruch par exzellence. Humboldt wollte nie in Berlin wohnen. Es war nicht die Stadt der Künste, eher Rom oder Paris. Jetzt ist eine Kuppel aufgesetzt worden von König Friedrich Wilhelm dem Vierten. Kreuze zieren diese und verweisen auf wilde Christianisierungsphantasie des früheren Königs. Dieser nutzte Argumente einer ästhetischen Religiosität, um feudale Herrschaftsansprüche nach Machtverlust der 48er Revolution geltend zu machen. Jetzige Stadt Berlin, scheinbar ohne historisches Bewusstsein, setze eine neoabsolutistische Kuppel auf ein Humboldtforum. Mehr Widerspruch geht nicht.
HK Und das auch noch aus Stahlbeton... Die Hälfte aller Opernhäuser steht in Deutschland. Dies ist eine Besonderheit. Lässt sich ebenfalls über die Fürsten begründen.
JG Ich habe noch eine scheinbar banale Frage zur Verwendung des Begriffs Ästhetik. Von der griechischen aisthesis als Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung bis z.B. Hegel, bei dem es auch um eine Wahrnehmung von Schönheit und Kunst geht, kann man verschiedene Dinge unter Ästhetik fassen, ich würde gerne noch mal nachfragen, welche Ästhetik hier im Vordergrund steht...
GL Es ist ein ziemlich genauer Begriff der Ästhetik, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts entsteht. Grundlage ist Leibniz‘ Philosophie, zusammen mit Aufwertung der unteren Erkenntniskräfte. Mensch ist in der Lage, aus den Sinnen eine positive Selbstbeobachtung abzuleiten. Anthropologie. In Konfusion erlebt der Mensch diese Erfahrung im Garten. Baumgarten...Es wäre historisch korrekt, kämen die Staatsgäste auch nach Weimar.
MW Wie muss man sich dem Ilmpark weiter nähern, was ist noch unentdeckt?
HK Unentdeckt sind die vielen Schichten, man muss mit Landschaft zweierlei Dinge machen: Die Schichten auseinanderhalten und ihren Zusammenhang sehen. Man kann durchaus etwas Neues dort machen, aber nicht ohne das Wissen des Vorhergegangenen. Man kann nicht einfach neugestalten. Immer in der Tradition handeln, es gingen immer Dinge aus Vorherigem hervor.
GL In Coronazeiten setzen wir uns viel mit der Natur und ihren Grenzen auseinander. Wie gehen wir mit Tieren um? Unsere Auffassung von Natur taucht in der Vergangenheit schon auf. Man muss alles zusammendenken. Krisen werfen Fragen auf: wie ist der Mensch mit der Natur verbunden? Weimar wäre ein Ort, um zu zeigen, woher wir unsere Auffassungen von Natur haben.
PK Landschaft und damit der Landschaftsgarten nicht als statischer Kompromiss, sondern als ein dynamischer Dialog, welcher nicht mehr im Garten als gebautes und geformtes, arkadisches, aber eben statisches Bild erfahrbar wird, sondern als ein prozessual, dialogisches Parlament der Dinge und der Lebewesen, welches nur noch im Erleben und im aktiven Diskurs zwischen den Entitäten entsteht – der neue Landschaftsgarten.
HK Dynamischer Dialog ist eine sehr gute Idee. Wie gestalten wir diesen? Das Ältere muss sichtbar bleiben, auch dass es eine Neuformung im 18. Jhdt. gab. Leben in der Pandemie: Vielleicht müssen wir unser Leben neugestalten und vieles wird auch passieren und wer weiß, wo es und hinführt. Man fängt einfach an, eine neue Form des Zusammenlebens zu finden. Diese Prozesse gab es mehrfach in der Menschheitsgeschichte.
Vortragende:
Gerhard Lauer (Digital Humanities Lab der Universität Basel – Professur Digital Humanities)
Hansjörg Küster (Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover – Professur für Pflanzenökologie)
Online Vortrag & Diskussion
03. 06 2020, 18:00–19:30
Protokollant*innen:
Tim L Hübel
Zeno Schnelle
Gerhard Lauer
Literaturhistoriker - zuständig für die Verknüpfung von Geisteswissenschaften und Digitalen Werkzeugen
Hansjörg Küster
Biologe - Landschaft – früher lange Kooperation mit Archäologie
Gerhard Lauer
→ Philosophische Grundlagen und Bedeutung der Parkanlage
→ Philosophie des guten Menschen
→ Dichtung im 18. Jhdt. versuchte sich einen anderen Raum vorzustellen/ Gegenentwurf/ Korrektur/ Utopie, wollen aber auch in diesem Raum leben
→ Vorstellung des besseren Lebens: Schäfer, Liebe, Frieden in der Natur, außerhalb der Stadt
→ Sensualismus, Empfindsamkeit
→ Rousseau
→ Leibnitz + Wolff, die überragenden Philosophen der Zeit, Natur soll positiv gesehen werden. Natur und Mensch wird positiv bewertet
→ Menschen erkennen sich selbst in der Betrachtung der Natur
→ Aufgabe des Gartens: Aufheiterung der Seele, Bereicherung der Phantasie, Verfeinerung der Gefühle, Bildung Geschmack und Kunst
→ Begriff der Ästhetik ist deutsches Phänomen, entsteht mit Alexander Gottlieb Baumgarter. Der Mensch soll zu sich selbst finden Garten als Heterotopie
→ Der Mensch braucht im damaligen Verständnis Landbesitz, Landwirtschaft, Waffen [muss männlich sein] um freier Bürger in kleinen Republiken zu sein;
Hansjörg Küster
→ Was gab es vor dem Park an der Ilm?
→ Welche Positionen nehmen Siedlungen in Bezug zur Landschaft ein?
→ Dorf: an der Acker-Grünland-Grenze
⊕ sanfte Hügel
→ Stadt: am Fluss
⊕Trinkwasser, Abwasser, Stadtbefestigung, Mühle/Wasserkraft, Holzbedarf (Flösse)
→ In Weimar erkennbar an der älteren Siedlung Jakobsvorstadt (an Acker-Grünland-Grenze, sanfter Übergang zur Ilm)
→ Stadtgründung Weimar 13. Jhdt. (näher am Fluss, Steilhang, Fluss Nord-Süd, Kirchen West-Ost, wie auch in Köln, Magdeburg, Dessau, Stadt mit Brühl (städtische Weidefläche im Überschwemmungsgebiet) und Gerbereien (starke Geruchsentwicklung), auch heute noch am Straßennamen ablesbar
Lauer bietet philosophische Entstehung des Parks, Küster landschaftliche Vorgeschichte. Beide Vorträge stellen den Naturbezug (philosophisch und physisch) in den Vordergrund.
Gerhard Lauer
→ Klee in Oßmannstedt als effektive Bepflanzung, um mehr Menschen zu versorgen, als Dünger, verbessert die Erträge der Flächen
→ Römisches Haus, Bezug auf politisches System der antiken, römischen Stadtrepubliken
Hansjörg Küster
→ Stadt/ und Dorfstruktur: Wehre im Stadtraum, zum Fischen, da sich Fische am sauerstoffreichen Ort im Wasser sammeln und für Mühlen
⊕ Burgmühle
⊕ Carlsmühle (unterhalb von heutiger Friedensbrücke)
MW Einstiegsfrage. Herr Küster, Sie haben die Stadt- und Dorfentwicklung beschrieben, die aus funktionaler und praktischer Erwägung stattfindet. Herr Lauer, Sie beschäftigen sich mit Literatur und Künsten. Meine Frage: Vollzieht sich dieser Übergang, dass eine Stadt aus ästhetischen Maßstäben gestaltet wird in Weimar, anders als in anderen Städten? Was macht die Besonderheit Weimars aus?
GL Gartenreich Wörlitz als gutes Beispiel. Die Handlungsfähigen waren die Fürsten. Wenn sie sehr viel Geld hatten, haben sie in Militär investiert, bei weniger Geld in Gärten und ästhetische Dinge. Wo also wollte man Geltung gewinnen? Garten als Wettbewerb unter den Fürsten, „wer hat den größten Garten?“ Besonderheit in Weimar, mit persönlichen Einflüssen von Goethe und Intellektuellen, die sich um ihn sammeln. Mit persönlichen Anspielungen als Ausdrücke der Gefühlslage. Ohne Goethe wäre es anders.
HK Im Ganzen steckte ein Problem. Man konnte Menschen nicht ernähren. Das Schöne wurde mit dem Nützlichen verbunden. Ornamented Farm: Landwirtschaftliches Gut soll gut gestaltet werden. Im englischen Vorbild finden die deutschen Fürsten das Schöne und Nützliche verbunden und sehen es als Chance eines Ausweges aus der Krise. Nachhaltigkeitsbegriff kommt auf: Landschaft soll gleich gestaltet sein, gleich aussehen und gleichen Ertrag bringen. Einführung der Kleesaat. Man schafft den Park als dauerhafte Einrichtung. Schritt als Bewältigung der Krise des späten Mittelalters, der frühen Neuzeit. Eine neue Welt in einer alten schaffen, in der es zu stark allein um Nützlichkeit ging.
PH Mein Eindruck im Wörlitzer Garten war, dass dieser doch wesentlich angelegter und etwas künstlicher anmutet und der Ilmpark dagegen deutlich wilder bzw. naturbelassener. Passt das zum Wandel der Vorstellungen von Gartenbaukunst zu dieser Zeit?
ZS Ist der Ilmpark darin in gewisser Art einzigartig, da, wie sie sagen, der Fürst die Hoheit der Gartengestaltung an seine Bürger*innen 'überträgt'?
GL Es ist das Ideal der Klassizismus, dem Goethe und Schiller angehören, das Nützliche muss auch das Schöne sein. Später beim Bauhaus war es auch so. Der englische Landschaftsgarten geht noch stärker davon aus, dass die Natur gut ist. Nicht der Mensch muss die Natur nützlich machen, sondern die Natur hat, wenn ich nur richtig hingucke, den Menschen zu sich selbst zu bringen, zu einer guten politischen Ordnung, zu einem guten Umgang mit Tieren. Rousseau positioniert sich gegen Tierquälerei und Hinrichtungen. Nicht Natur des Menschen. Auch schottische Moralphilosophie greift das auf und ist gegen Sklaverei. Mensch kann mit der Natur auf eigenem Boden leben, es ist möglich. Wir sind noch heute Erben des epochalen Umbruchs im 18. Jhdt.
HK Es ist wichtig, dass man 1. die Natur sieht, 2. die Gestaltung durch Menschen, 3. eine Idee. Der Ilmpark soll deutlich natürlicher wirken als der in Wörlitz. Es ist schwierig, diesen Eindruck in die Zukunft zu retten. Es ist nicht die Natur des Naturwissenschaftlers, sondern die Natur, die der Mensch geformt hat. Sulzer dazu: die Landschaft entsteht im Kopf. Es liegt an uns, die Idee in die Zukunft zu tragen und ein Gegenkonzept zu erarbeiten.
GL Es setzt voraus, einen positiven Natureindruck zu haben. Die Menschen im 18. Jhdt haben noch Hungererfahrungen. In Katastrophen muss man etwas Positives sehen. Bspw. Erdbeben in Lissabon. Rousseau dazu: ihr lebt in der Stadt zu eng zusammen. Es ist ein Zeichen der Natur, dass ihr nicht mehr richtig lebt. Das ist das falsche Leben, das ist schlecht, deswegen brennt euer Haus ab. Dieser positive Naturbegriff ist eine neuere Entwicklung und war so in der frühen Neuzeit nicht vorhanden. Wenn man positiven Naturbegriff hat, geht man anders mit Natur um. Ursprünglich lebte der Mensch nicht harmonisch mit Natur, dieses Bild kommt aus dem 18. Jahrhundert und der Ästhetik.
MW Anna Amalia als wichtige Figur, die über die Stadtgrenzen hinausgetreten ist. Holte Wieland und Goethe nach Weimar.
GL Anna Amalia wählte ungewöhnlichen Weg, Intellektuelle Führungsfiguren nach Weimar zu holen (Wieland, Goethe, Oeser). Damit beginnt der Weg des Gartens zu Ästhetisierung. Dies mit ganz anderen, bescheideneren Mitteln als bspw. Wörlitz. Sehr gute Umsetzung dafür und konnten Grundlage schaffen, dass dieser Park in die Literatur und den Kunstbetrieb einzieht. Auch in kleineren Gärten war dies möglich. So zum Beispiel im Gleimhaus in Halberstadt. Ärmere Menschen lasen dort im Garten Briefe, schrieben welche und weinten auf das Papier (es war wichtig, dass man dies sah). Echte Gefühle. Hat unsere Welt neugestaltet. Wir sind Erben dieser klassischen Welt. Vorfall 2002/2003: chinesischer Ministerpräsident in Weimar, verlässt Goethehaus aus Protest, weil der Leiter in seiner Rede die Humanität zu stark betonte.
MW Es gibt ähnlichen Fall: Einweihung des Goethe-Hafis Denkmal am Beethovenplatz. Iranische Delegation sollte im Anschluss auch KZ Buchenwald besuchen. Löst Eklat aus. Sie betonten zwei Arten der Repräsentation: Militär und Gärten. Bei Hirschfeld: friedfertige Völker legen Gärten an. Kriegerischer und heroischer Geist ist dazu nicht im Stande
GL Man ist Kämpfer und Dichter (Rousseau, Kleist) als Ideal. Beispiel: Hermann und Dorothea. Der Bürger, der seine kleine Welt verteidigen kann. Dorothea übergibt Hermann am Ende die Rüstung. Es ist erstaunlich friedlich. Friedfertigkeit: Man findet passend eine Synagoge im Wörlitzer Park. An einer Stelle im Park kann man alle Konfessionen vereint sehen: evangelisches, katholisches und jüdisches Gebetshaus, Einheit der Religionen, ein Menschheitsgeschlecht. Probleme lagen darin, den Menschen durch den Wörlitzer Park zu ernähren.
HK Es ist schwierig. Getreidefelder mitten im Wörlitzer Park richtig zu verstehen. Menschen heute wundern sich, dass man mit Pferden diese Felder bearbeitet, und beschwerten sich, da dies nichts in einem Park zu suchen habe. Es hat sehr wohl in einem Park etwas zu suchen. Es verbindet das Schöne und das Nützliche. Spannend ist, dass die Dessauer zunächst sehr militärversessen waren. Und über Kriege Geld für späteren Park einnahmen (Söldnerarmee für Preußen). Späterer Fürst Franz setzte militärische Tradition nicht fort, was zu Dissonanz führte.
MW Passt ja in die politischen Verhältnisse, in denen Weimar gegen Bestrebungen Preußens war und dem Herzog einen großen Stein in den Ilmpark setzte, den Dessauerstein.
ZS Wie steil werten sie folgende These: die Landschaftsgärten des Klassizismus und das Bestreben des Humanismus bilden Auftakt im Untergang des Adels
GL Die Adelsgesellschaften gehen davon aus, dass Menschen grundsätzlich verschieden sind in ihrer Wertigkeit. Sklaven sind keine Menschen. Humboldt und andere sind aktiv gegen diese adeligen Positionen. Historiker*innen trennen zwischen Ästhetisierung und Verbürgerlichung, sehen darin zwei Vorgänge. Humboldtforum ist Widerspruch par exzellence. Humboldt wollte nie in Berlin wohnen. Es war nicht die Stadt der Künste, eher Rom oder Paris. Jetzt ist eine Kuppel aufgesetzt worden von König Friedrich Wilhelm dem Vierten. Kreuze zieren diese und verweisen auf wilde Christianisierungsphantasie des früheren Königs. Dieser nutzte Argumente einer ästhetischen Religiosität, um feudale Herrschaftsansprüche nach Machtverlust der 48er Revolution geltend zu machen. Jetzige Stadt Berlin, scheinbar ohne historisches Bewusstsein, setze eine neoabsolutistische Kuppel auf ein Humboldtforum. Mehr Widerspruch geht nicht.
HK Und das auch noch aus Stahlbeton... Die Hälfte aller Opernhäuser steht in Deutschland. Dies ist eine Besonderheit. Lässt sich ebenfalls über die Fürsten begründen.
JG Ich habe noch eine scheinbar banale Frage zur Verwendung des Begriffs Ästhetik. Von der griechischen aisthesis als Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung bis z.B. Hegel, bei dem es auch um eine Wahrnehmung von Schönheit und Kunst geht, kann man verschiedene Dinge unter Ästhetik fassen, ich würde gerne noch mal nachfragen, welche Ästhetik hier im Vordergrund steht...
GL Es ist ein ziemlich genauer Begriff der Ästhetik, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts entsteht. Grundlage ist Leibniz‘ Philosophie, zusammen mit Aufwertung der unteren Erkenntniskräfte. Mensch ist in der Lage, aus den Sinnen eine positive Selbstbeobachtung abzuleiten. Anthropologie. In Konfusion erlebt der Mensch diese Erfahrung im Garten. Baumgarten...Es wäre historisch korrekt, kämen die Staatsgäste auch nach Weimar.
MW Wie muss man sich dem Ilmpark weiter nähern, was ist noch unentdeckt?
HK Unentdeckt sind die vielen Schichten, man muss mit Landschaft zweierlei Dinge machen: Die Schichten auseinanderhalten und ihren Zusammenhang sehen. Man kann durchaus etwas Neues dort machen, aber nicht ohne das Wissen des Vorhergegangenen. Man kann nicht einfach neugestalten. Immer in der Tradition handeln, es gingen immer Dinge aus Vorherigem hervor.
GL In Coronazeiten setzen wir uns viel mit der Natur und ihren Grenzen auseinander. Wie gehen wir mit Tieren um? Unsere Auffassung von Natur taucht in der Vergangenheit schon auf. Man muss alles zusammendenken. Krisen werfen Fragen auf: wie ist der Mensch mit der Natur verbunden? Weimar wäre ein Ort, um zu zeigen, woher wir unsere Auffassungen von Natur haben.
PK Landschaft und damit der Landschaftsgarten nicht als statischer Kompromiss, sondern als ein dynamischer Dialog, welcher nicht mehr im Garten als gebautes und geformtes, arkadisches, aber eben statisches Bild erfahrbar wird, sondern als ein prozessual, dialogisches Parlament der Dinge und der Lebewesen, welches nur noch im Erleben und im aktiven Diskurs zwischen den Entitäten entsteht – der neue Landschaftsgarten.
HK Dynamischer Dialog ist eine sehr gute Idee. Wie gestalten wir diesen? Das Ältere muss sichtbar bleiben, auch dass es eine Neuformung im 18. Jhdt. gab. Leben in der Pandemie: Vielleicht müssen wir unser Leben neugestalten und vieles wird auch passieren und wer weiß, wo es und hinführt. Man fängt einfach an, eine neue Form des Zusammenlebens zu finden. Diese Prozesse gab es mehrfach in der Menschheitsgeschichte.